#K20K21digital | Die digitale Strategie der Kunstsammlung NRW

Am 20. Mai luden Dr. Marion Ackermann, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und Alissa Krusch, Bereichsleiterin Digitale Kommunikation, zur Präsentation und zum Expertengespräch nach Düsseldorf ein, um die neue digitale Strategie der Kunstsammlung vorzustellen. Leider konnte ich an diesem Tag nicht dabei sein, aber ich wurde im Anschluss mit umfassendem Material versorgt und habe das Gespräch auf Twitter verfolgt. Dabei waren unter anderem Anke von Heyl, Ute Vogel und Kai Schwichtenberg. Drei Kulturblogger, die ich sehr schätze und deren Beiträge sehr lesenswert sind. Anke hat zudem bereits einen Beitrag zum Gespräch geschrieben.

Für das Thema digitale Strategien in Museen lohnt sich auch ein Blick auf den Blog von Christian Gries, der dort die Entwicklung immer wieder thematisiert und im Netz unter dem Hashtag #DigSMus sammelt und teilt.

Das vierte Haus der Kunstsammlung

Die neue digitale Strategie der Kunstsammlung NRW, die über die letzten zwei Jahre entwickelt wurde, wird als viertes Haus der Kunstsammlung bezeichnet. Eine Metapher, die ich sehr schön finde, denn in der Tat kann die digitale Präsenz zu einem weiteren Raum einer Institution werden. Ähnlich hat auch die Tate in London ihre digitale Strategie im Jahr 2013 vorgestellt.

Insgesamt fünf Grundpfeiler hat die Kunstsammlung NRW für ihre digitale Strategie zusammengefasst, mit denen ich mich im Folgenden der Reihe nach auseinandersetze:

1. Entsprechend ihrer Grundhaltung entwickelt die Kunstsammlung eine digitale Präsentation von besonderer Qualität. Dabei kommuniziert sie im internationalen Maßstab und betont die Qualität ihrer Sammlung wie der Expertise der Wissenschaft, Bildung und Kommunikation. Dies führt zum zentralen Ansatz der Strategie, Inhalte nicht nach Algorithmen, sondern „kuratiert“ – d.h. vermittelt mit dem Blick eines Kurators als kompetentem Wegweiser – anzubieten. Der Fokus des Auftritts wird auf die bleibenden Aspekte der Sammlung gelegt.

Die neue Präsentation von besonderer Qualität besteht zunächst in einem Relaunch der Webseite und soll in der vollständigen Digitalisierung der Sammlung (2700 Werke) bis Ende 2017 gipfeln. Die Startseite der neuen Webseite soll dabei jedem Nutzer einen zielgruppenspezifischen, leichten Einstieg in die Angebote der Kunstsammlung bieten. Ebenso sollen hier alle digitalen Kanäle zusammenlaufen und mehrsprachig wird es sein. Gesehen wird die Seite eher als Portal denn als reguläre Webseite. Tagesaktuell sollen hier in Zukunft Informations-, Service- und Vermittlungsangebote präsentiert werden sowie eine umfassende Mediathek vorhanden sein. Optisch wird das ganze auf die bestehenden Print- und Digitalmedien des Hauses abgestimmt. Ehrgeiziges Ziel ist es außerdem bis zur Digitalisierung der Sammlung auch Bildungsprojekte und digitale Touren anzubieten, die in die Sammlung hineinführen.

Gleich dieser erste Grundpfeiler lässt erkennen, dass sich die Mitarbeiter der Kunstsammlung viel vorgenommen haben. Der Anspruch ist groß. Ich finde das ziemlich gut, frage mich allerdings, ob all diese Ziele auf einer Seite Platz finden können. Das in Zielgruppen gedacht wird ist ein guter Anfang, ob man wirklich jeden mit einer Seite auf die richtige Weise ansprechen kann, halt ich für schwer umsetzbar. Hier könnten Chatbot-Technologien zum Einsatz kommen, die immer besser werden.

Knapp eine halbe Million Besucher hat die Webseite jedes Jahr. Etwa 100.000 mehr als das Haus real besuchen. Für diese eine Plattform zu schaffen macht durchaus Sinn. Mich hätte jetzt allerdings noch interessiert wer die digitalen Besucher sind. Eher Frauen oder Männer? Welche Altersgruppen? Aus welchen Ländern? Soviel Einblick gibt’s dann leider doch noch nicht. Auf Twitter wurde erwähnt, dass bei der Entwicklung mit Personas gearbeitet wird, das finde ich äußerst spannend und würde gerne wissen, welche Zielgruppen am Ende wirklich bedacht werden. Da der Dialog nun eröffnet ist, gibt es dazu ja vielleicht in der Zukunft mehr.

Dem „Kurator als kompetenten Wegweiser“ stehe ich skeptisch gegenüber, klingt es für mich doch sehr nach Elfenbeinturm. Da wird man die Umsetzung abwarten müssen. Vielleicht zeigt es auch nur eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Internet, die es noch an so vielen deutschen Häusern gibt.

2. Grundsätzlich liegt auf der ästhetisch-grafischen Gestaltung der digitalen Medien und der Erfahrbarkeit der Sinnlichkeit des Kunstwerkes ein besonderer Wert. Auch mit dem digitalen Neubau lebt die Kunstsammlung die Nähe zu den Künstlern. Gerade diese nutzen den digitalen Raum für überraschende, radikale, ganz eigene künstlerische Umsetzungen. Künstlerinnen und Künstler der Sammlung und des Ausstellungsprogramms sind eingeladen, den digitalen Raum für ihre Projekte künstlerisch zu nutzen.

Nah an der Kunst soll es sein, die für das Haus im Mittelpunkt steht. Ein verständlicher Ansatz, dennoch finde ich es schwierig bei der Konzeption einer Plattform für viele Zielgruppen von der Kunst und den Künstlern aus zu denken. Meiner Meinung nach sollte gerade in einem öffentlichen Haus der Mensch an erster Stelle stehen. Zeitgenössischen Künstlern eine Plattform zu bieten ist großartig und sollte ein Teil davon sein, auch sie sind ja eine Ziel- oder Anspruchsgruppe.

Ein ähnliches Projekt hat das ZKM übrigens vor einigen Jahren mit AOYS verwirklicht. Jedoch scheint mir dort das Problem, dass zwar der Kunst eine gute Plattform geboten wird, die Usability aber zu kurz kommt. Auch habe ich dort immer ein umfassendes Marketing vermisst.

Auch die Kunstsammlungen täten gut daran ihre digitalen Tätigkeiten mehr zu bewerben. Es gab bereits zwei Ausstellungsapps (2011 und 2014), die irgendwie untergingen im Tagesgeschäft. Das ist zu schade, immerhin steckt immer sehr viel Arbeit in solchen Angeboten.

Bereits bestehend und in Zukunft weiterhin ergänzend soll das Blogazine number32 funktionieren. Ich bin kein großer Fan des Designs, aber die Inhalte sind hervorragend und es ist sehr lesenswert. Das Magazin weiterhin zu füllen und ergänzend zu digitalen, künstlerischen Interventionen auszubauen, finde ich sehr schön und freue mich drauf. Im Sinne des Dialoges, der in der Strategie so betont wird, würde ich mir dort allerdings eine Kommentarfunktion wünschen.

3. Die Medienspezifik des Digitalen ist ein weiterer Grundpfeiler der strategischen Positionierung: Die digitalen Mittel für erhellende Visualisierungen zu nutzen, neue Sichtweisen zu gewinnen und gerade die komplexeren Verknüpfungen und Verbindungen der Kunstgeschichte anschaulich werden zu lassen, sind die wesentlichen Ziele der digitalen Erweiterung. Zudem werden mit hochaufgelösten digitalen Bildern neue Wahrnehmungsebenen von Kunstwerken ermöglicht. Die Inhalte sollen mit aktuellen Aspekten der Gesellschaft verknüpft werden.

Jedes Werk der Sammlung soll hochauflösend jedem frei zur Verfügung stehen. Das ist wichtig im Sinne des Museumsauftrages der Zugänglichmachung von Kunst und gehört in jede zeitgemäße Strategie. Wer ein digitales Haus bauen möchte, kann diesen Punkt eigentlich gar nicht außen vor lassen. Spannend finde ich das Ziel, dass hier sowohl Wissenschaftler als auch reguläre Besucher einen individuellen Zugang finden sollen. Bewusst möchte man sich auch von anderen Projekten wie dem Rijksstudio oder der digitalen Sammlung des Städel abheben und etwas ganz Neues präsentieren. Mehr wurde dazu leider noch nicht bekanntgegeben. Ich hoffe hier wird es Beta-Tests mit verschiedenen Zielgruppen geben. Gerade bei digitalen Sammlungen, die einige tausend Werke umfassen, sollte Wert auf die Nutzbarkeit gelegt werden. Das Rijksstudio ist für mich bis heute eine der gelungensten Ansätze in diesem Bereich, leider kommen die Inhalte etwas zu kurz, da der Fokus auf der Kreativität der Nutzer liegt. Immer mehr Häuser stellen ihre Sammlungen online, eine Lösung, die mir richtig gut gefällt habe ich noch nicht gesehen, deshalb freue ich mich sehr darauf, was die Kunstsammlungen uns nächstes Jahr präsentieren werden.

4. Gemäß ihres Auftrages, sich grundsätzlich – angesichts eines immer
diversifizierteren Publikums – an alle Menschen zu richten, verfolgt die Kunstsammlung einen konsequenten Ansatz der Individualisierung von Zugängen. Dabei geht sie auf spezifische Voraussetzungen des Gegenübers ein, handelt inklusiv, serviceorientiert und verschränkt die Erfahrungen von digitalen und realen Besuchern des Hauses.

Hier kommt endlich an vierter Stelle der Punkt der Usability. Wie bereits erwähnt, sollte das meiner Meinung nach an erster Stelle stehen, aber es ist da und das ist erstmal die Hauptsache. Allerdings finde ich den Vorsatz alle Menschen zu erreichen wirklich schwer umsetzbar. Als Idealziel ist es nichtsdestotrotz bewundernswert.  Serviceorientiert, leicht zugänglich, inklusiv und das konsequent gedacht. Da ist auf jeden Fall noch einiges zu tun. Bisher glänzt der Auftritt der Kunstsammlung nicht gerade durch Usability und leichte Zugänge.

Mich würde an dieser Stelle auch besonders interessieren, ob intensiv ausgewertet wurde, wie die Webseite und die anderen Kanäle momentan genutzt werden und wie das Besucherverhalten dort ist. Ich persönlich würde mir die Seite etwas übersichtlicher wünschen. Das die Seite in Zukunft mobilfähig wird ist ein guter Anfang. Das macht das große Ziel alles für jeden auf die Seite zu bringen aber auch nicht einfacher, nicht alles was auf dem Desktop funktioniert, macht auf dem Smartphone noch Sinn. Auch hier bin ich auf die Lösungen gespannt.

5. Der digitale Neubau der Kunstsammlung soll ein öffentlicher Schutzraum sein, eine Plattform für Austausch und Forschung mit einer explizit globalen Perspektive. Gesellschaftliche, politische und ethische Fragen werden reflektiert und Haltung dazu bezogen, etwa bei der aktuellen Debatte über die Zukunft des Urheberrechts.

Dieser fünfte und bisher letzte Punkt hat mich am meisten begeistert. Haltung zeigen und Debatten führen, fehlt mir oft an vielen Häusern. Gerade Institutionen, die zeitgenössische Kunst zeigen, sollten auch die gesellschaftlichen Probleme diskutieren, die oft in der Kunst reflektiert werden.

Ebenso finde ich es aus Perspektive des Bildungsauftrages von öffentlichen Häusern heutzutage unerlässlich Position zu beziehen und den Menschen Orientierung zu geben.

Zudem ist es wirklich überfällig, dass ein Haus sich öffentlich in der Bildrechte-Debatte engagiert. Alle Beteiligten leiden ja unter den Auflagen der VG-Bild Kunst und unter den Unsicherheiten, die das nicht auf das Internet ausgerichtete, deutsche Urheberrecht verursacht. Bisher hilft man sich irgendwie mit Fotoverboten oder man beißt in den sauren Apfel und zahlt die horrenden Gebühren, um den Besuchern das Fotografieren zu erlauben. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Die Kunstsammlung will in Zukunft auch digital eng mit den Künstlern zusammenarbeiten und dazu gehört auch mehr Kunst für Besucherfotos zugänglich zu machen. Wenn die Kunstsammlung es schafft, hier einen sinnvollen öffentlichen Dialog mit allen Beteiligten zu führen, hätten sie es wirklich geschafft digital als Vorreiter etwas zu bewegen!

Mein Fazit

Alles in allem klingt die digitale Strategie der Kunstsammlung NRW ziemlich gut und auf die Umsetzung bin ich sehr gespannt. Dass man sich dort jetzt schon als Vorreiter bezeichnet ist mir allerdings etwas zuviel, das lässt sich wohl erst entscheiden, wenn es richtig los geht.  Ebenso bleibt abzuwarten wie sich das Ganze entwickelt, wenn Marion Ackermann weg ist, hängt der Wert des Digitalen doch auch sehr an der Leitung eines Hauses.

Einen Dialog einzuläuten finde ich fantastisch und bin gespannt wie dieser nun weiter geht und sich entwickelt. Das Expertengespräch war sicher nur der Anfang. Bis die Sammlung Ende 2017 vollständig digitalisiert ist, gibt es noch viel Zeit sich mit verschiedenen Gruppen auszutauschen und zu sehen wo die Reise wirklich hingeht.

Was mir bisher fehlt ist das Thema ‚user generated content‘. Es soll kuratiert werden, Künstler sollen den Raum nutzen, aber der Besucher scheint keine Inhalte beisteuern zu dürfen. Jede digitale Plattform lebt am Ende des Tages nur durch ihre Nutzer und deren Verhalten. An dieser Stelle kann auf jeden Fall noch nachgebessert werden.

Besonders herausragend finde ich auch gar nicht so sehr die angestrebten Inhalte, sondern vor allem dass der digitalen Strategie soviel Gewicht gegeben wird. In Deutschland ja noch immer eine Seltenheit. Und damit möchte ich nicht sagen, dass Museen hier keine Strategien haben, auch wenn einige den Anschein machen, aber die wenigstens haben diese bisher so offensiv nach außen kommuniziert und gezeigt wie wichtig ihnen das ist. Da fallen mir das Städel, die Pinakotheken, das Historische Museum Frankfurt und das Marta Herford ein. Eine doch recht überschaubare Zahl. Und nun eben die Kunstsammlung NRW. Anders ist hier auf jeden Fall der Dialog der nun geführt werden soll. Ich hoffe er findet wirklich statt und ermöglicht den einzelnen Zielgruppen aktiv an den neuen Angeboten mitzuwirken.

 

Ein herzliches Dankeschön an die Kunstsammlung NRW für die Einladung und das Bereitstellen des ganzen Materials!

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